Chronik

150 JAHRE MUSIKGESELLSCHAFT TSCHLIN 1873-2023

150 Jahre Musikgesellschaft Tschlin, Jubiläumsfest 2023 Chronik 1873 – 2023

Sicher kein alltägliches Ereignis, wenn die Musikgesellschaft eines kleinen Dorfes ein solches Jubiläum feiern kann. Diese lange Zeit, geprägt von Ausdauer und Prosperität, ist nur möglich gewesen dank dem unermüdlichen Einsatz der vielen einzelnen Mitglieder, der Vorstände mit ihren Präsidenten, sowie fähiger Dirigenten, die es verstanden haben, mit ihrem Können die ihnen anvertrauten Musikanten für das angestrebte Ziel zu begeistern. Allgemein ist man aber doch in der heutigen Zeit landein landaus mit Schwierigkeiten konfrontiert, was die Unterhaltung einer Musikgesellschaft in einem kleinen, vielleicht noch abgelegenen Dorf anbelangt. Die Jungen müssen zwecks Berufsausbildung auswärts, man sattelt im Berufsleben häufiger um, sportliche Aktivitäten nehmen Überhand. Heute sind die Register gut besetzt, morgen fehlt es an allem. Früher lebten die Leute im Dorf, alle waren verfügbar, das Leben war allgemein nachhaltiger. In Tschlin existierten einmal neben der Musik noch 3 Chöre, ein gemischter Chor, ein Männerchor und man staune, auch ein Damenchor. Und dann wurde noch jeden Winter Theater gespielt, Dramen, bei denen man die Hühnerhaut kriegte. Wir sind aber heute in der glücklichen Lage, dass unser langjähriger Präsident Peder Andri Arquint einer Schar vorstehen darf, die sich in allen Belangen sehen lassen kann: etliche Jungmusikanten, alle Register gut besetzt, ein fähiger Dirigent, Armon Caviezel, der seit dem Jahr 2019 mit Elan seines Amtes waltet. Was will man mehr? Nächstes Jahr, 2024, findet das nächste Kantonalmusikfest in 15 Klosters statt. Ein bedeutender Anlass für eine Musikgesellschaft, aber auch verbunden mit grosser Arbeit an Vorbereitung und Organisation. Ein Stapel voll Protokollbücher gibt Einsicht in die Aktivitäten unseres Vereins im Laufe der vielen vergangenen Jahrzehnte: an Neuuniformierungen, wichtigen Musikfesten, Erwerb und Finanzierung von neuen Instrumenten. Wir finden in diesen vergilbten Büchern nicht selten auch Berichte über Anlässe organisiert durch unseren Verein, die von den Verantwortlichen sicher Mut und Risikobereitschaft abverlangten. Im Jahr 1949 traf man sich in Plans Chanver/Martina zur «Festa da cunfin», einem eigentlichen Grenztreffen. Zu diesem Anlass wurden mehrere Musikkapellen aus dem benachbarten Tirol eingeladen, um zusammen mit unsereiner aus dem Engadin zu feiern. Nach 16 mehrjähriger Grenzschliessung während des Weltkrieges sollten nun die guten Beziehungen mit unseren Musikkameraden ennet der Grenze mit diesem Treffen neu belebt werden. Ein besonders enger Kontakt bestand schon seit langem mit der Musikkapelle Nauders. Ein Erinnerungspräsent, geschaffen durch meine Mutter Tina Salis, welches den Vereinen als Geschenk ausgehändigt wurde, befindet sich noch bei mir. Ein prägender Höhepunkt in der Geschichte unserer Musikgesellschaft war auch der Musiktag 1927 in Tschlin. Konzipiert anfangs als eigentliches Treffen zur Einweihung der neuen Fahne, entwickelte sich der Anlass schlussendlich aber doch zu einem richtigen Musikfest, verstanden als Festa da musica Engiadinaisa. Man stelle sich vor, mit welchen Anforderungen unsere Leute konfrontiert waren beim Bewältigen einer solchen Aufgabe: ein enges Strässchen als Zufahrt zum Dorf, keine Ausstellplätze, der grosse Anlass aufs Geratewohl unter freiem Himmel. Eine Erinnerung an dieses Ereignis ist uns aber geblieben und wird in Ehren gehalten: ein prächtiges Horn in Silber zum Tragen des Blumenbouquets beim Aufmarschieren der Musik an Festanlässen. Es ist nämlich das Geschenk der Musikgesellschaft St. Moritz als Taufpatin der neuen Fahne an unseren Verein. Es ist viel geschehen in diesen 150 Jahren, es wurde etliches geleistet, auch Wichtiges bewegt. Eine lange Reihe von Vorständen mit ihren Präsidenten sind einander gefolgt. Alle haben ihr Bestes geboten. Einzelne Personen hier im Besonderen hervorzuheben wäre sicher nicht angebracht. Wo sollte hier der Massstab angesetzt werden? Von den Dirigenten, die unserer Musikgesellschaft für längere Zeit ihre Dienste gewidmet haben, möchte ich im Besonderen meinen 17 Grossvater Men Janett, dessen Sohn Cla Janett, sowie Duri Janett erwähnen und deren Arbeit auch entsprechend zu würdigen versuchen. Aber auch die Dienste als Dirigenten von Jon Erni (1998- 2000), von Roberto Donchi (2006-2008) und insbesonders von Tumasch Melcher (2000-2005) verdienen unseren besten Dank. Men Janett, damals Lehrer in Strada/Martina, hat 1908 die Musikgesellschaft von seinem Vorgänger, Lehrer Gian Gianet Cloetta, übernommen. Men Janett war ein begnadeter Dirigent, und Dank seines Einsatzes und allgemein seiner Begeisterung für die Musik, entwickelte sich seine Musikgesellschaft bis in die 50-ger, 60- ger Jahre zu einer der bekanntesten des Kantons. Dies auch dank mehrerer, wackerer Kräfte aus der eigenen Familie, sowie aufgrund der Situation wie schon oben erwähnt, dass die Leute im Dorf blieben und somit jederzeit zur Verfügung standen. Ein erster Höhepunkt in 18 der Ära Men Janett war im Besonderen die Teilnahme am Kantonalmusikfest in Bergün 1933 mit dem 1. Rang in der 3. Kategorie. Dies mit dem Selbstwahlstück «Mirella» von Carl Friedemann. In Disentis 1955, (vielleicht schon in Davos 1951?), spielte unsere Musik an einem Kantonalmusikfest in der 1. Kategorie. Wir errangen damals (ich spielte auch als 15-Jähriger mit) das Prädikat vorzüglich, dies sicher wegen des Aufgabestückes «Menuett», das uns besonders gut lag. Einmal ging unsere «Musica» auch an ein Eidgenössisches Musikfest, nämlich 1948 nach St. Gallen. Auch wenn die Darbietung des Selbstwahlstückes «Leichte Kavallerie» von Franz von Suppè nicht völlig glückte, so soll doch das Gebotene in St. Gallen als sehr hoch eingeschätzt werden. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Cla Janett unsere Musikgesellschaft im Jahr 1963. Unter seiner Ägide als Dirigent ist eine ganze Palette von Wichtigem im Vereinsleben zu erwähnen: 2 mehrtägige Reisen zu unseren Musikkameraden der Musikkapelle Leopoldau in Wien, die Kantonalfeste in St. Moritz, Domat-Ems, Samedan, Lenzerheide, Klosters und Flims. Auch spielten wir unter seiner «bachetta» an unzähligen anderen Anlässen, Bezirksmusikfesten, Geburtstagen, Einladungen. Und natürlich, besonders zu erwähnen, anlässlich der Feierlichkeiten zum 100- jährigen Jubiläum unserer Musik im Frühling 1973. Onkel Cla hat viel geleistet als Dirigent, nichts war ihm zu viel, er war immer zur Stelle. Als Duri Janett den Taktstock im Jahre 1985 von seinem Onkel Cla übernahm, waren die Anforderungen an einen Dirigenten eines Musikvereins um einiges gestiegen. Die Wahl von Duri als musikalischen Verantwortlichen unserer «Musica» darf man sicher als Glücksfall taxieren. Dank eines zusätzlichen Studiengangs im Bereich Musik, war er natürlich kompetent genug, um den Bedingungen, die heutzutage einem Dirigenten gestellt werden, gerecht zu werden. Das betraf neben der Beherrschung der Technik des Dirigierens auch ein gewisses Mass an Wissen über die Literatur der Blasmusik, sowie Fähigkeit im Bereich Interpretation. Neben einigen weiter oben erwähnten Unterbrüchen ist Duri bis zum Jahr 2019 Dirigent unserer Musikgesellschaft gewesen. Meilensteine während seiner Zeit als musikalischer Leiter waren das Fest zur Einweihung der neuen Uniformen, die Kantonalmusikfeste St. 20 Moritz (das 2. Mal), Felsberg, Davos, Scuol, Chur und schliesslich Arosa. Unter seiner Leitung konnten wir anlässlich des 1. Konzertes in der neuerstellen Mehrzweckhalle in Tschlin die Komposition «Titanic» von Stephan Jäggi vorbringen. Ein Genuss für uns Musikanten, eine anspruchsvolle Literatur, ein erwartungsvolles, aufmerksames Publikum. Einen besonderen Dank richten wir an dieser Stelle auch an unseren langjährigen Vizedirigenten Curdin Caviezel. Immer ist er bereit gewesen, Aufgaben für die Wohlfahrt unserer «Musica» zu übernehmen. Curdin gebührt unsere höchste Anerkennung. Als Gian Gianet Cloetta im Jahre 1893 in Tschlin eintraf, um als Lehrer der hiesigen «scoul’ota» sein Amt anzutreten, fand er hier auch die kümmerlichen Überbleibsel der einstigen, 1873 durch die Initiative von Cla Grand, gegründeten Musikgesellschaft. Die ersten damaligen Musikanten, es waren am Anfang nur etwa acht an der Zahl, entstammten den Familien Trombetta, S-charplaz, Janett, Gustin und Starlay. Aber schon nach einigen Jahren seit der Gründung musste nach einem neuen Dirigenten Ausschau gehalten werden, da sich Cla Grand erblindet hatte. Mayer hiess der Neue, ein richtiger Kapellmeister, von Zizers stammend. Er ging auf «Speise» zu den Musikanten und soll seiner Aufgabe recht seriös angegangen sein, denn bereits im Frühjahr 1876 fand der erste Auftritt vor einer dankbaren Hörerschaft anlässlich des Kinderfestes in Ramosch statt. Übrigens, das hätte ich fast vergessen, nahm er zu den Mahlzeiten auch stets seine Frau mit. Aber bereits nach einigen Monaten fand Mayer leider anderswo eine Betätigung und die kleine Musik schritt einer ungewissen Zukunft entgegen. Lehrer Cloetta hat sich während 11 Jahren mit Erfolg unserer Musikgesellschaft gewidmet. In seinen Denkwürdigkeiten aus den 21 Jahren in Tschlin erzählt er von unzähligen wichtigen Ereignissen aus seiner Zeit als Lehrer und Dirigent der heutigen Musik. Sogar die gespielten Stücke und an welchen Anlässen vorgetragen, werden dabei akribisch genau aufgezählt. Im Besonderen sind ihm die Sonntage im Frühling in Erinnerung geblieben, als die ganze Bevölkerung des Dorfes sich in Palavrain eingetroffen hatte, um sich zu erfreuen an den Klängen der Musik und an den Liedern der Chöre. Der Ring der Erinnerungen hat sich geschlossen. Zum 150-jährigen Bestehen unserer Musikgesellschaft gratulieren wir ihr von ganzem Herzen. Sie, unsere «Musica», ist von eminenter Wichtigkeit für die Kultur und die Zusammengehörigkeit im Dorf und in der ganzen Region!

Erwin Salis